Die Charakterisierung einer Person

Verstehen – planen – schreiben · mit vielen Formulierungsbeispielen & Übungen.

1. Was ist eine Charakterisierung?Grundwissen

Eine Charakterisierung beschreibt und deutet eine Figur aus einem Text sachlich und begründet. Sie beantwortet zum Beispiel:
  • Wer ist die Figur? (Name, Alter, Rolle im Text)
  • Wie verhält sie sich? Welche Eigenschaften hat sie?
  • Was denkt und fühlt sie? Wovor hat sie Angst? Wovon träumt sie?
  • Wie entwickelt sie sich im Verlauf der Handlung?
  • Welche Bedeutung hat sie für die Geschichte?
Wichtig: Du schreibst nicht deine persönliche Meinung („Ich finde sie doof“), sondern bleibst sachlich und stützt alles auf Textstellen. Keine Beleidigungen, keine Umgangssprache.

1.1 Direkte & indirekte Charakterisierung

  • direkt: Die Figur wird ausdrücklich beschrieben.
    „Er war ein ziemlich ängstlicher Junge.“
    „Sie gilt als fleißigste Schülerin der Klasse.“
  • indirekt: Wir erschließen Eigenschaften aus Verhalten, Sprache, Gedanken, Gefühlen, Beziehungen.
    Sie nimmt anderen das Wort weg → dominant.
    Er hilft sofort → hilfsbereit.
    Sie meidet Gruppen → unsicher.
Signalwörter für direkte Charakterisierung: „ist“, „war“, „gilt als“, „wird beschrieben als“, „wird dargestellt als“.

1.2 Rollen im Text & Entwicklung

  • Rolle im Text: Hauptfigur (Protagonist:in), Gegenspieler:in (Antagonist:in), Nebenfigur, Spiegelfigur, Entwicklungsfigur.
  • Figurenentwicklung: z. B. unsicher → selbstbewusst, egoistisch → rücksichtsvoll.
Beispielformulierungen:
„X fungiert als Gegenspieler von …“
„Y dient als Spiegelfigur, da sie …“
„Im Verlauf der Handlung entwickelt sich die Figur von … zu …“
Zeitform: In der Regel Präsens.
„Zu Beginn wirkt sie unsicher, später wird sie mutiger.“

2. Formulierungs- und Adjektiv-BankFormulierungshilfe

2.1 Satzanfänge für Einleitung

  • „In der Kurzgeschichte von … wird die Figur X vorgestellt, die …“
  • „Die Hauptfigur X spielt in dem Roman von … eine zentrale Rolle, weil …“
  • „Im Mittelpunkt des Textes steht die Figur X, die als … dargestellt wird.“

2.2 Satzanfänge für den Hauptteil

  • „Zu Beginn wirkt die Figur …“
  • „Ihr/Sein Verhalten zeigt, dass …“
  • „Dies wird deutlich, als …“
  • „Ein weiteres Merkmal ist, dass …“
  • „Vergleicht man X mit …, so fällt auf, dass …“
  • „Im Verlauf der Handlung verändert sich X, indem …“

2.3 Satzanfänge für den Schluss

  • „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass …“
  • „Insgesamt kann X als … beschrieben werden.“
  • „Die Figur ist für den Text wichtig, weil …“

2.4 Textbelege einführen

  • „Dies zeigt sich an der Textstelle, an der …“
  • „Ein Beispiel dafür findet sich in Zeile …:“
  • „Daran erkennt man, dass …“
  • „Hier wird deutlich, wie …“
  • „Aus ihrem/seinem inneren Monolog wird ersichtlich, dass …“

2.5 Wortschatz für Eigenschaften

positiv neutral / gemischt negativ
hilfsbereit
zuverlässig
mutig
freundlich
verantwortungsbewusst
ehrlich
geduldig
einfühlsam
kreativ
kooperativ
zurückhaltend
nachdenklich
sensibel
ehrgeizig
neugierig
distanziert
sachlich
perfektionistisch
temperamentvoll
egoistisch
arrogant
feige
rücksichtslos
launisch
aggressiv
neidisch
impulsiv
manipulativ
sarkastisch

2.6 Beschreibungs-Beispiele

„Sie hinterfragt selten Entscheidungen anderer und fügt sich schnell.“ „Er stellt seine eigenen Wünsche in den Vordergrund und ignoriert die Bedürfnisse seiner Freunde.“ „Ihre zögerliche Art zeigt, dass sie Angst davor hat, Fehler zu machen.“ „Im Verlauf der Handlung übernimmt er immer mehr Verantwortung.“ „Sein spöttischer Ton lässt darauf schließen, dass er sich anderen überlegen fühlt.“

3. Übung 1 – direkte oder indirekte Charakterisierung?Grundlagen üben

Entscheide, ob es sich um eine direkte (D) oder indirekte (I) Charakterisierung handelt. Schreibe D oder I in das Feld.

4. Übung 2 – Eigenschaften aus dem Verhalten ableitenIndirekt deuten

Lies die Beobachtungen und formuliere passende Eigenschaften (z. B. „hilfsbereit“, „unsicher“, „egoistisch“). Schreibe Stichworte oder kurze Sätze.

5. Übung 3 – Satzanfänge für den HauptteilFormulierungs-Training

Vervollständige die Satzanfänge passend zur Figur. Nutze eigene Ideen oder orientiere dich an den Beispielen oben.

6. Übung 4 – von Stichpunkten zur CharakterisierungSchreibtraining

Unten findest du Stichpunkte zu einer erfundenen Figur „Lena“. Notiere im Planungsraster deine Ideen und schreibe dann einen eigenen kurzen Charakterisierungs-Entwurf (ca. 1–2 Absätze).

Figur „Lena“ – Stichpunkte

  • 14 Jahre, 8. Klasse
  • kommt oft zu spät, vergisst Hausaufgaben
  • macht im Unterricht Witze, bringt andere zum Lachen
  • hilft stillen Mitschüler:innen bei Gruppenarbeiten
  • zu Hause allein mit jüngerer Schwester, viel Verantwortung
  • träumt davon, später Fotografin zu werden

Planungsraster (Stichworte)

7. Muster-CharakterisierungenBeispiele in drei Niveaus

Die folgenden Beispiele zeigen komplette Charakterisierungen auf drei Anforderungsniveaus. Sie können zur Orientierung, zur Besprechung im Unterricht oder als Lösungsvorschlag dienen.

7.1 Beispiel 1 – einfach (Klasse 7/8): „Anna“

7.2 Beispiel 2 – mittel (Klasse 8–10): „Ben“

7.3 Beispiel 3 – anspruchsvoll (EF–Q2): „Clara“

8. Kurzgeschichte zum Üben: „Die leise Entscheidung“Mehrere Figuren

Aufgabe: Lies die Kurzgeschichte und charakterisiere anschließend die Figuren Mia, Yusuf, Lara und Herr König. Achte dabei auf direkte und indirekte Hinweise.

8.1 Kurzgeschichte „Die leise Entscheidung“

Es war der dritte Regentag in Folge, als Herr König seiner 9b die neue Gruppenaufgabe erklärte. Die Klasse sollte eine Präsentation über „Mut im Alltag“ vorbereiten. Jede Gruppe hatte eine Woche Zeit.

Mia kritzelte kleine Wellen in die Ecke ihres Heftes. Sie mochte Referate nicht. Schon bei dem Gedanken, vor der ganzen Klasse zu sprechen, spürte sie, wie ihr Gesicht heiß wurde. Am liebsten wäre sie in der letzten Reihe verschwunden.

„Also“, sagte Herr König und schob seine Brille zurecht, „die Gruppen stehen schon an der Tafel. Ihr könnt euch nach vorne begeben.“ Auf der Tafel standen vier Namen: Mia, Yusuf, Lara und Ben.

Yusuf stand sofort auf. „Cooles Thema“, meinte er und grinste. „Dann machen wir was mit Zivilcourage, oder?“ Er klatschte Ben freundschaftlich auf die Schulter. Ben nickte, warf aber nur einen kurzen Blick zu Mia, die noch immer sitzen geblieben war.

Lara ging langsam nach vorne. Sie hielt sich ihren dicken Ordner an die Brust gedrückt, als sei er ein Schutzschild. „Vielleicht können wir erst mal Ideen sammeln“, schlug sie leise vor. Ihre Stimme war kaum zu hören.

Als schließlich auch Mia an den Gruppentisch kam, hatte Yusuf schon die Hälfte der Seite mit seinen Vorschlägen vollgeschrieben. „Also“, sagte er, „Ben und ich übernehmen den Vortrag. Lara macht die Folien. Und Mia…“, er zögerte kurz und setzte dann hinzu: „…Mia kann das Protokoll schreiben.“

Mia spürte, wie ihr der Stift in der Hand verrutschte. „Ich könnte auch einen Teil erklären“, murmelte sie, fast mehr zu sich selbst als zu den anderen. Doch Yusuf schien es nicht zu hören. „Das klappt so am besten“, sagte er und strich die letzten Worte seiner Notizen unter.

In der nächsten Stunde brachte Lara einen Stapel Ausdrucke mit. „Ich hab zu jedem Beispiel eine kleine Szene aufgeschrieben“, erklärte sie. „Wir könnten das auch spielen, statt nur zu erzählen.“ Ihre Augen leuchteten kurz, dann sah sie suchend zu Mia. „Vielleicht könnte Mia ja eine Szene übernehmen?“

„Theaterspielen? Echt jetzt?“ Ben lachte nervös. „Ich kann doch nicht schauspielern.“ Yusuf winkte ab. „Wir machen das wie geplant. Vortrag, Folien, fertig.“ Er sprach schnell, als wolle er jede Diskussion im Keim ersticken.

In der Pause saß Mia allein am Fensterbrett. Draußen liefen Regentropfen schräg die Scheibe hinunter. „Du hattest gute Ideen“, sagte eine Stimme neben ihr. Es war Lara. „Die Szene über den Jungen im Bus, der nicht eingreift, obwohl er das Mobbing sieht – das war doch deine Idee, oder?“

Mia nickte. „Aber wenn ich es erklären muss, vergesse ich bestimmt alles“, antwortete sie leise. Lara setzte sich zu ihr. „Vielleicht ist Mut im Alltag genau das“, sagte sie. „Trotz Angst etwas zu tun.“ Sie lächelte schief. „Ich hab mich heute Morgen sogar getraut, Herrn König zu bitten, die Sitzordnung zu ändern.“

In diesem Moment blieb Herr König im Türrahmen stehen. Er hatte die beiden wohl schon eine Weile beobachtet. „Ich wollte euch sowieso noch sprechen“, sagte er. „Mir ist aufgefallen, dass in eurer Gruppe manche viel und andere sehr wenig zu Wort kommen.“ Sein Blick wanderte kurz zu Yusuf und Ben, die laut lachend am anderen Ende des Flurs standen.

„Ein Vortrag über Mut wirkt überzeugender, wenn alle mitsprechen“, fuhr er fort. „Wie wäre es, wenn jeweils zwei die Szenen spielen und die anderen erklären, was daran mutig ist?“

Lara sah Mia kurz an. Mia fühlte wieder die Hitze in ihrem Gesicht, aber diesmal mischte sich etwas anderes hinein – eine leise Neugier. „Ich könnte den Jungen im Bus spielen“, sagte sie plötzlich, bevor ihr Mut verschwinden konnte. „Und später erklären, warum er am Ende doch aufsteht.“

Einen Moment lang war es still. Dann nickte Herr König langsam. „Das“, sagte er, „ist eine sehr gute Entscheidung.“ In seinem Blick lag weder Druck noch Spott, nur ernste Freundlichkeit.

Als die Gruppe später im Klassenraum die neue Aufgabenverteilung besprach, holte Yusuf tief Luft. „Okay“, sagte er und sah Mia an, „dann übernimmst du die Szene mit dem Bus. Ich mach den Einstieg, und Lara erklärt die Beispiele mit der Zivilcourage.“ Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Ist wahrscheinlich doch besser, wenn wir das gerecht aufteilen.“

Mia nickte. Ihr Herz klopfte immer noch schneller als sonst. Aber als sie ihren Namen neben die Szene schrieb, zittern ihre Hände kaum noch. Draußen hatte der Regen aufgehört.

8.2 Deine Charakterisierungen

Notiere zu jeder Figur stichwortartig oder in ganzen Sätzen, wie du sie charakterisieren würdest. Nutze dafür direkte und indirekte Hinweise aus dem Text.

Mögliche Charakterisierungen zu „Die leise Entscheidung“:

Mia:
Mia ist zunächst eine sehr schüchterne und unsichere Schülerin, die Angst davor hat, vor anderen zu sprechen. Sie vermeidet Blickkontakt und bleibt lieber im Hintergrund. Gleichzeitig zeigt der Text, dass sie viele gute Ideen hat (z. B. die Szene im Bus), die sie sich aber kaum traut zu äußern. Durch Laras Unterstützung und den Hinweis von Herrn König entwickelt sie Mut und übernimmt schließlich eine aktive Rolle in der Präsentation. Am Ende kann Mia als zurückhaltende, aber mutige und lernbereite Figur beschrieben werden, die über sich hinauswächst.

Yusuf:
Yusuf tritt am Anfang laut, selbstsicher und bestimmend auf. Er reißt die Planung an sich, verteilt die Aufgaben und übergeht dabei Mias Wunsch, selbst etwas zu erklären. Das zeigt, dass er zu Beginn wenig Rücksicht auf leise Mitschüler:innen nimmt. Als Herr König jedoch auf die ungleiche Verteilung hinweist und Mia sich meldet, zeigt Yusuf Einsicht. Er ist verlegen und ändert die Aufgabenverteilung („Ist wahrscheinlich doch besser, wenn wir das gerecht aufteilen“). Dadurch wirkt er am Ende lernbereit und fair, auch wenn er anfangs dominant und etwas unsensibel ist.

Lara:
Lara wirkt auf den ersten Blick leise und zurückhaltend, da sie mit leiser Stimme spricht und ihren Ordner wie einen Schutzschild hält. Gleichzeitig ist sie sehr engagiert und vorbereitet, weil sie eigenständig Szenen aufgeschrieben und Ausdrucke mitgebracht hat. Sie ist einfühlsam, da sie Mias Ideen wahrnimmt, sie anspricht und ihr Mut macht („Vielleicht ist Mut im Alltag genau das …“). Damit zeigt Lara eine Mischung aus stiller Stärke, Empathie und Verantwortungsbewusstsein.

Herr König:
Herr König wird als aufmerksamer und gerechter Lehrer dargestellt. Er beobachtet die Gruppenarbeit, ohne sofort einzugreifen, und spricht dann ruhig an, dass manche viel und andere wenig zu Wort kommen. Statt jemanden bloßzustellen, macht er einen konstruktiven Vorschlag, wie alle beteiligt werden können. Seine Art, Mia zu bestätigen („Das ist eine sehr gute Entscheidung“), wirkt unterstützend und ermutigend. Insgesamt ist er eine Figur, die Fairness und Beteiligung aller Schüler:innen fördern möchte.